Alles, was du sehen kannst,
hat seine Wurzeln in der unsichtbaren Welt.
Es mögen sich die Formen ändern,
das Wesen bleibt dasselbe.“
Sufi Rumi, Das Lied der Liebe

Archaische Ursprünglichkeit und eine Spur Moderne begegnen uns, als wir in Labuan Bajo die Aerospatiale-Alenia ATR 72 der Garuda Indonesia verlassen, die gut getaktet fast alle Inseln Indonesiens anfliegt. Die Stadt ist das Tor zur Insel Flores, die in der Provinz Ost-Nusa Tenggara  liegt und zu den Kleinen Sundainseln gehört, und gleichzeitig Ausgangspunkt in den Komodo Nationalpark. Die Insel selbst ist 15.175 km² groß und hat rund 1,5 Millionen Einwohner. Etwa 91 Prozent der Einwohner sind Christen, die meisten davon Katholiken. Eine Folge der portugiesischen Missionierung im 16. Jahrhundert.

 

Die Blumeninsel im Indischen Ozean hat ihren Namen von den portugiesischen und holländischen Kolonialisten erhalten, wobei man nicht wirklich nachgewiesen hat, ob er von der Vegetationsvielfalt der Insel abgeleitet oder der extrem bunten Unterwasserwelt mit traumhaften Korallengärten[1] geschuldet ist. Die kolonialen Einflüsse sind auch auf Schritt und Tritt spürbar. Wähnt man sich auf dem ersten Eindruck ob der schönen und sofort sichtbaren Moscheen und der mehrmals täglich durch die gesamte Stadt wehenden Muezzinrufe auf einer von Muslimen geprägten Insel, sind beim genauen Hinschauen  die christlichen Spuren nicht übersehbar. Wie auch, sind doch ein Großteil der Bewohner auf Flores Christen. In Wahrheit ist Labuan Bajo ein großes Dorf, das sich entlang einer Hauptstraße an der Westküste schön in die üppig grüne Landschaft einfügt. Und hat dennoch was Städtisches. Es wurden noch nie zuvor so viele hervorragende italienische Restaurants auf so engem Raum außerhalb Italiens gesichtet als in der kleinen Küstenstadt mitten im Komodo Nationalpark, der zu den Weltnaturwundern der Erde zählt. Hier kann man auf höchstem Niveau schlemmen und das zu günstigsten Preisen und in der Gewissheit, dass der Fisch und das Carpaccio am Teller von Tagesfang der örtlichen Fischer stammen.

Die Menschen hier wirken anders als im restlichen Indonesien. Gemeinsam ist ihnen der Stolz auf ihre Herkunft und dass sie auf diesem schönen Flecken der Erde leben dürfen. Der Rest der Welt scheint sie nicht wirklich zu interessieren. So erzählt Abdullah, der Ranger auf der Insel Rinca, auf der mit etwas Glück ebenso wie auf Komodo die berühmten „Drachen“, die bis zu drei Meter großen Komodo-Warane, in freier Natur gesichtet werden können – mit stolzgeschwellter Brust, dass er hier auf Rinca, in einem kleinen Ort im Norden der Insel, geboren wurde, zur Schule ging und nun Aufseher im Nationalpark ist. Und das in bestem Englisch, obwohl er noch nie weggekommen ist von dem kleinen Island. Dafür sorgt die solide Ausbildung, die die Mitarbeiter im Nationalpark bekommen. Und natürlich auch der Eifer des jungen Indonesiers, die Touristen möglichst gut zu führen und ihnen viel Information an die Hand geben zu können. Bei einer Wanderung über die Insel ist dem 20-ährigen sein Respekt vor der Natur und den Tieren hier anzusehen und er betont auch mehrmals, dass er da einen sehr gefährlichen Job macht, nicht nur wegen der Warane sondern auch wegen der vielen Giftschlangen.

Sehenswert sind nicht nur die Reptilien, die die Jahrtausende überlebt haben und heute unter Naturschutz stehen, sondern auch Flora und Fauna der Über- und Unterwasserwelt. Straßen gibt es auf dem sehr ruhigen Island noch wenige, viele fangen irgendwo an und enden im Nichts. Die Landschaft ist gerade in der Regenzeit während des europäischen Winters üppig grün, sogar die felsigen Überreste der Vulkantätigkeiten sind mit üppig grünem Gras bewachsen. Dörfer entlang der Küste sind oft nur über Wasser zu erreichen.

Entsprechend scheu sind daher auch die Menschen. Haben sich die einen mit den Veränderungen angefreundet und sehen auch die Chancen, die der Tourismus mit sich bringt, sind viele Flores Bewohner eher zurückhaltend. Und trotzdem sehr freundlich, wenn man sie anspricht und versucht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen – meist mit Händen und Füssen, da gerade die ältere Generation kein Englisch spricht. Die Kinder hingegen sind auch auf Flores so wie überall auf der Welt – neugierig und verspielt. Wenn man mit dem Motorrad durchs Land fährt, finden sich pausenlos kleine Flores-Bewohner, die einem freundlich zuwinken und ein „Hello“ zurufen – strahlendes Lachen auf ein Zurückwinken ist garantiert.

Bei einer Fahrt mit dem Auto, das derzeit ohne Fahrer nur privat und ohne Versicherungsschutz auf geteiltes Risiko[2] vermietet wird, über die wunderschöne, naturbelassene Insel braucht es Geduld und Zeit. Schnell geht hier gar nichts, obwohl die Hauptdurchzugsstraße von West nach Ost gut ausgebaut ist, lediglich in der Regenzeit Strecken weise schwer befahrbar in den bergigen Regionen. Trotzdem braucht man für hundert Kilometer mehrere Stunden, landschaftlich reizvolle Ein- und Ausblicke machen aber schnell klar, dass es sich lohnt, ein paar Gänge zurück zu schalten und sich der Langsamkeit, die hier Lebensinhalt ist, anzupassen. Am Anfang etwas ungewohnt, wer das Gefühl von anderen Reisen – beispielsweise durch die Bergwelt Sulawesis – kennt, welchen Reiz es hat, sich mühsam über unwegsame Straßen zu kämpfen weiß, dass es sich lohnt. Ursprüngliche Einheimischen Dörfer, Höhlen und Wasserfälle, Kraterseen und Vulkane, Reisfelder und dazwischen kleine Orte mit Nahversorger, Kirche, Moschee und Schule.

Vierzehn über 2000 Meter hohe Vulkane prägen die Landschaft der Insel. Die höchsten noch tätigen sind der Vulkan Egon bei Maumere und der Vulkan Inerie im Ngada-Gebiet. Die Besichtigung des Vulkans Mount Kelimutu mit seinen drei Kraterseen in 1400 m Höhe, die in den Farben olivgrün, türkis und schwarz aber auch rot schimmern gehört sicherlich zu den Höhepunkten einer Flores Reise.  Die, bei klarer Sicht, atemberaubende Aussicht auf die drei Kraterseen mit der unterschiedlichen Wasserfärbung lohnt die etwas beschwerliche Anreise. Die vielen Mythen, die gerne erzählt werden, zeigen, dass sich die Menschen auf Flores trotz ihres katholischen Glaubens viele animistische Überzeugungen erhalten haben. Nach dem Glauben der älteren Bewohner gehen die Seelen der jungen und ehrlichen Menschen in den türkisfarbenen See, die Seelen der alten und schwachen Menschen in den olivgrünen See und die Seelen der Mörder und Diebe versinken auf den Grund des schwarzen Sees.

Im Nordosten der Insel im Maumere Gebiet, dem Hauptort der Insel, arbeitet seit vielen Jahren die Yaspem Stiftung  unter dem Motto „Hilfe zur Selbsthilfe“ gemeinsam mit den Menschen auf Flores, deren Grundlagen zum Überleben zu sichern. Die Stiftung wurde vom Steyler Missionar und Entwicklungshelfer Pater Heinrich Bollen, der seit 1959 auf der Insel lebt, ins Leben gerufen und betreut vielfältige Projekte im Bereich der medizinischen Vorbeugung und der Aus- und Weiterbildung, um die Lebensbedingungen der Bevölkerung in der Region zu verbessern. So wurden, dank vieler gespendeter Nähmaschinen aus Deutschland viele Nähkurse für Frauen und Mädchen durchgeführt und in Maumere sowie in abgelegenen Dörfern Nähstuben eingerichtet. Hier lernen die Frauen und Mädchen aus den traditionellen Ikatstoffen, – deren Webkunst sie perfekt und künstlerisch beherrschen und die sie selbst so wunderschön kleidet – auch Produkte für den Weiterverkauf herzustellen. Über die Stiftung werden die handwerklichen Produkte vermarktet.

Ein vielleicht ungewöhnliches aber dennoch weitsichtiges Selbsthilfe Projekt war vor 16 Jahren die Übernahme eines bankrotten Hotels am Strand von Waiara durch die Stiftung. Diese mutige und anfangs umstrittene Idee Sozial- und Entwicklungsarbeit mit einer touristischen Einrichtung zu unterstützen, macht die Yaspem[3] Stiftung zwar noch nicht unabhängig von Spenden aber das Sea World Club Hotel gibt 40 Florenesen Arbeit und Auskommen und im Ausbildungszentrum, das auf dem Gelände des Hotels errichtet wurde, werden Schulungen und Lehrgänge in Landwirtschaft und Handwerk durchgeführt.

Die Geschäftsführerin und Organisatorin der Stiftung ist die Lehrerin und Sozialarbeiterin Maria Mediatrix Mali. Kurz Trixi Mali  – wie sie von allen genannt wird. Sie hat Pädagogik studiert und im Goethe-Institut in Jakarta sehr gut Deutsch gelernt. Viele Jahre war sie als Lehrerin und Leiterin der christlichen Schule Maria Cimangis mitten im überwiegend muslimischen Gebiet in Jakarta tätig. Zunächst war es eine Vorschuleinrichtung und eine Grundschule für Straßenkinder inzwischen ist es auch eine anerkannte Mittelschule, die auch von muslimischen Schülern besucht wird.  Die Arbeit für Kinder und Jugendliche ist ihr besonders wichtig, „denn Bildung ist eine große Chance für die Jugendlichen, aber wenn sie nicht genug zu essen bekommen, dann sind sie nicht in der Lage, viel und gut zu lernen“, ist sie überzeugt.

Maumere hat auch eine faszinierende Unterwasserwelt zu bieten, die Taucher aus aller Welt anzieht. Und weil es nicht ganz einfach ist, diese Orte aufzuspüren und Zeit und Geduld braucht, sind sie bisher auch vom Massentourismus verschont geblieben, auch wenn sich langsam in den städtischen Zentren so etwas wie Ansätze einer touristischen Infrastruktur entwickeln. Hier noch mehr zu spüren als in touristisch bereits erschlosseneren Gebieten diese Haltung des Leben und Leben Lassens, das zu tun, was im Moment halt grad geht. Und wenn es nicht geht, immer wieder aufs Neue zu versuchen. Das Scheitern und Dranbleiben als Lebensaufgabe und nicht als Demotivation und Frustration. Respekt vor dem anderen, egal wer er ist und Rücksichtnahme, die sich hier ebenso wie auf Bali auch im Straßenverkehr zeigt.

So bestätigt sich hier auch auf der Blumeninsel die Aussage des Taxlers am Weg von Nusa Dua zum Airport, dass der Verkehr in der Millionenstadt nur deshalb so gut funktionieren kann, weil jeder auf jeden Rücksicht und damit auch Verantwortung für den anderen übernimmt. Das gilt auch hier auf Flores, wo es zugegebener Maßen noch wesentlich überschaubarer und ruhiger zugeht auf den Straßen. Sehr ruhig und fast ein wenig heimelig ist es auch noch am neuen Flughafen in Labuan Bajo. Lärm machen dort derzeit nur die Baugeräte, die an der Fertigstellung des neuen, architektonisch sehr ansprechenden Flughafengebäudes werken. Vermutlich ist er beim nächsten Besuch fertig. Und hoffentlich behält sich das Personal am Airport Labuan Bajo diese extreme Freundlichkeit, die auf vielen Flughäfen unserer Welt nicht mehr selbstverständlich ist. Nach mehr als dreißig Jahren Reisen und ungezählten nationalen und internationalen Flughäfen dieser Welt hat bisher noch nie ein Beamter beim Security Check gefragt, ob er mit dem Detektor einen Body-Ceck machen darf, bevor er die Kontrolle durchführte. Das charmante Lächeln dazu in dem braungebrannten Gesicht bleibt ebenso in Erinnerung wie diese respektvolle Vorgangsweise, da er tatsächlich auf ein zustimmendes Ja gewartet hat, bevor der seiner Arbeit nachging.

Am Rückflug fällt uns dann, als wir durch die Wolkenlücken auf die Bergwelt von Sumbawa schauen, wieder ein, was uns Angy, die Mitarbeiterin in der Komodo Lodge auf der Terrasse des Hotels beim Anblick der vielen kleinen Inseln erzählt hat. Zum einen, dass vor allem in der Hauptsaison – im europäischen Sommer – die Tauchboote eher in Richtung Westen, also Richtung Sumbawa und Bima fahren, da hier Wetter und Sicht besser sind. Und zum anderen, dass nicht weit von hier einer der aktivsten Vulkane Indonesiens thront.

Im April 1815 hat der Tambora bei einem der größten Ausbrüche in der Geschichte Indonesiens und der größte der letzten 5000 Jahre weltweit mehr als 100 Kubikkilometer glühende Lava und Asche in die Atmosphäre geschleudert. Die Eruption erreichte die Stärke sieben, im Vergleich dazu brachte es der Ausbruch des isländischen Eyjafjallajökull auf Stärke vier. Die Folgen waren noch Jahre später bis nach Europa und Amerika zu spüren. Damals allerdings hat man die Zusammenhänge noch nicht erkannt. Erst in den 20-er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts hat der Klimaforscher William Jackson Humphreys[4] den Vulkanausbruch in Zusammenhang mit entsprechenden Wetteraufzeichnungen gebracht. Er hat nachgewiesen, dass weltweit Millionen Menschen von diesem Vulkanausbruch betroffen waren und die Katastrophe Hungersnöte in Mitteleuropa, den USA und China nach sich zog. Die Abkühlung des Weltklimas hielt gute vier Jahre an. In Indien blieb der Monsun aus, in Europa sanken die Durchschnittstemperaturen bis zu 3,5 Grad. Die Kraft und Energie von 170.000 Hiroschima-Atombomben waren bei der Eruption frei gesetzt worden.

Ein Gefühl von Endzeitstimmung kommt dann auch bei diesem Flug auf, als die Wolkenwand immer dichter wird und hoch über Lombok – der 3726 Meter hohe Vulkan Gunung Rinjani ist heute nicht zu sehen – sich Blitz und Donner fast zeitgleich entladen. Wir fliegen ein paar Minuten durch ein ordentliches  Gewitter und werden richtig durchgebeutelt, bevor die Maschine dann sicher am internationalen Flughafen in Denpasar landet. Eine eindrucksvolle Demonstration der Natur passend zu den Erinnerungen an den Vulkanausbruch vor mehr als 200 Jahren.

 

Anmerkungen

[1] Sehr beliebt und ein erlebnisreicher Tagesausflug ist ein Bootsausflug zu den Inseln in Maumere Bucht zu den Insel Pulau Pangahbatang, Pulau Babi und Pulau Parmahan. Hier befinden sich wunderschöne Schnorchelgebiete, man kann ein Picknick machen, Muscheln sammeln und in den Fischerdörfern freundlichen Menschen begegnen.  Nicht selten begegnet man auf der Überfahrt Delphinschulen.
[2] „Wenn was passiert, dann müssen wir zusammen zahlen und uns das ausmachen“, die Worte des Auto-Vermieters.
[3] Mehr Infos unter www.flores-idonesien.de[4] Humphreys, Physiker und Meteorologe,  war einer der ersten, der 1909 eine Beschreibung der Stratosphäre veröffentlichte. Er war von 1905 bis 1935 war er im Wetterdienst der USA tätig und fand 1920 einen Erklärungsansatz für das Jahr ohne Sommer 1816. Dieses sei auf einen vulkanischen Winter infolge des im April 1815 sich ereignenden Ausbruchs des indonesischen Vulkans Tambora zurückzuführen, fand er heraus.